Mille Miglia 2022

Mille Miglia. Das ist ein ganz besonderes Gefühl, diese Magie, die das ganze Land erfasst. Kinder und alte Menschen, die wahrscheinlich -als sie klein waren- schon begeistert die Rennwagen am Straßenrand erlebt haben, wie sie in atemberaubender Geschwindigkeit und auf Schotterpisten ohne Pause durch das ganze Land gefahren sind. Stirling Moss war 1955 der Schnellste. In 10 Stunden, 7 Minuten und 48 Sekunden und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 157 km/h umrundete er mit seinem Beifahrer Denis Jenkinson die Strecke. Ein Rekord für die Ewigkeit. 

Auf Geschwindigkeit wird nun nichtmehr gefahren, aber heiß geht es trotzdem zur Sache, wenn die 440 Klassiker vom Baujahr 1927 bis 1957 starten und das ganze Land mit Glück, Lärm und Gestank erfüllen.

Brescia
Die ganze Sache beginnt schon drei Tage früher mit der Anmeldung, dem Aufkleben der Startnummern und Sponsor-Stickern, der technischen Abnahme und Prüfung aller Dokumente. Peinlichst genau wird die Fahrgestellnummer gesucht, um dann den korrekten Mille Miglia Pass auszustellen, mit dem dann eine Teilnahme auch in Zukunft möglich ist. Das alles findet im Brixia Forum, einer riesigen Messehalle am Stadtrand statt. Auch wir bekommen Media-Aufkleber auf unseren Porsche geklebt, Ausweise und werden mit einem ganzen Stapel an Roadbooks und Infomaterial versorgt. 

Höhepunkt der Registrierung ist die Verplombung der Autos, welche auf dem Areal der Piazza della Vittoria in Stadtzentrum vor dem begeisterten Publikum stattfindet. Wie einst schon vor 95 Jahren wird ein kurzer Draht mit einer Bleiplombe versehen und an der Lenksäule angebracht. Mancher Rennwagen trägt davon einige, wohl auch noch aus damaligen Zeiten. 71 Fahrzeuge waren tatsächlich einmal bei der MM mitgefahren, darunter sieben Osca Rennwagen, die in diesem Jahr mit einer extra Klasse das 75. Jubiläum feiern. 

Der Start ist zum 13:30h und die ganze Stadt scheint auf den Beinen. Von der Piazza della Vittoria, wo am Morgen noch die letzten Teilnehmer eingecheckt haben, strömen die Zuschauer zum Bereich der Startrampe an der Viale Venezia. Die Rennwagen fahren dann einmal durch die Innenstadt, wo die Fans es sich in den Bars und Restaurants gemütlich gemacht haben und feiern. Das große Fest beginnt und für die Teilnehmer heißt das auch ein bisschen Arbeit: Auf 1941 Kilometern Gesamtstrecke sind 115 Sollzeit- und 17 Gleichmäßigkeitsprüfungen zu meistern und 257 kleine und größere Ortschaften zu durchqueren. 

Wir schauen uns das Prozedere am Start eine Weile an und machen uns dann auf die Verfolgung des Feldes. Um etwas abzukürzen, fahren wir von Brescia auf direktem Weg nach Sirmione und holen so die frühen Starter wieder ein. Man merkt auch ohne Roadbook sehr schnell, wenn man wieder auf der richtigen Strecke ist, denn diese ist gesäumt mit tausenden von Zuschauern. Es  ist unglaublich! In jedem Kreisel, vor jedem Haus stehen die Menschen, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen. Die Polizei hat alles abgesperrt und fährt manchmal als Eskorte vorweg, um den Weg für uns freizumachen. 

Nach einem kurzen Stopp in Mantova geht es weiter nach Ferrara. Über eine krasse Kopfsteinpflasterstraße werden wir in Richtung Piazza del Castello geleitet. Hier ist Abendessen für die Teilnehmer, eine kleine Pause von den ersten Strapazen und wir können uns in aller Ruhe das gesamte Starterfeld ansehen, welches auf dem Platz um die alte Festung steht. Besonderes Highlight ist der Mercedes-Benz 300 SL von 1952, der als Test Wagen bei Le Mans eingesetzt wurde und einen riesigen Spoiler auf dem Dach montiert hat. Am Abend fahren wir noch mit einigen Rennwagen in die Dunkelheit und dann zum Hotel nach Forli. Das liegt direkt auf der Route der Rallye, die am nächsten Morgen aus dem benachbarten Cervia kommt wird und so können wir direkt einsteigen.

Forli, San Marino, Urbino, Gubbio… 

Heute ist früh aufstehen angesagt. 6:30h Wecker, schnelles Frühstück und los gehts. Wir tanken noch, warten auf die Oldtimer und hängen uns hinten dran. Der Berufsverkehr wird mit Hilfe des guten Willens der Italiener und der Polizei bewältigt. Die sperrt wieder die meisten Kreisel ab, und eskortiert den Tross auf der Mittelspur durch den Verkehr. Auch mal links durch den Kreisel. Ganz schön verrückt das Ganze und es geht leider auch nicht ohne Blechschäden an der einen oder anderen Präziose ab. 

Die Temperatur ist mit 25 Grad noch erträglich, später sollte das Thermometer wieder auf 35 Grad ansteigen. Puhhh. Wir nähern und San Marino, die Auffahrt ist zweispurig und die schwächeren Fahrzeuge kämpfen sich mühsam den Berg hoch, ehe sie das Fürstentum erreichen. Wir nehmen die im Roadbook angegebene Umfahrung und machen uns weiter auf wunderschöner Straße nach Urbino

Die Landschaft wird langsam hügeliger und der Verkehr wird weniger. So soll es sein. Einige Wertungsprüfung werden hier abgehalten und wir bekommen einen Einblick in den Arbeitsalltag der Rennfahrerteams. Das alles ist ziemlich gut organisiert, die Teilnehmer halten sich rechts und die anderen auf der linken Spur, so kommt man sich nicht in die Quere.  

Einer der schönsten Abschnitte geht über eine sanft durch die Hügel geschwungene Landstraße. Hier machen wir einen Stopp und fotografieren ausgiebig, lassen eine ganze Reihe von Rallyeautos an uns vorbei und ich schwelge etwas in Erinnerung, denn am selben Punkt stand ich 2005 (als es mit dem damals neu erworbenen 964er auf die erste große Fahrt ging) mit meinem Kumpel Thomas und habe die vorbeifahrenden Autos mit der Canon Powershot G2 eigefangen. Wie die Zeit vergeht… 

In Urbino fahren wir durch das alte Stadttor, durch die ganze Altstadt und zwengen uns vorbei an den Touristen. Eimalig! Auf der Weiterfahrt erwischen wir eine schöne Szene an der Tankstelle mit Christian Geistdörfer, der mit einem Porsche 356 am Start ist und mit Oktansaft befüllt. Wir trinken n Kaffee, essen ein Croissant, kaufen frisches Wasser  und fahren weiter nach Gubbio, einem der schönsten Ziele der ganzen Mille Miglia. Vor dem Platz vor dem Palazzo die Consoli ist eine Durchfahrtskontrolle bei der wir 1999 mal Stirling Moss im Mercedes SLR begegnet sind und wir schauen eine Weile zu, wie die Autos durch die glutheisse, enge Gasse fahren, vorbei an Wildschweinwurst und Getöpfertem.

Diese Stadtdurchfahrten sind spektakulär und ich denke, das genau macht die Mille Miglia auch aus. Neben der tollen Landschaft, den begeisternden Zuschauern sind es die Dörfer und Städte mit ihren Plätzen, die oftmals schon seit vielen Jahren für den Verkehr gesperrt sind und nur für besondere Anlässe geöffnet werden. Diese Kulisse macht die Mille zu einem einzigartigen Fest.

In flotter Fahrt geht es weiter Richtung Süden. Mittagspause ist in Passignano sul Trasimeno. Das ganze Dorf steht voller Autos und es brummt und qualmt an allen Ecken. Die Sonne brennt umerbärmlich und wir sind froh über die Pause und die Abkühlung im Schatten. Nach einer Stärkung kann es weiter gehen. Unsere letzte Station für heute ist eine Rennstrecke. 

Das Autodromo dell’Umbria, wo eine weitere Wertungsprüfung anliegt. Es geht einmal mit verschiedenen Zwischenzeiten um den 2,5 Kilometer langen Kurs und danach verabschieden wir und für heute. Währen das Feld weiter in Richtung Rom fährt und spät am Abend ankommt, kreuzen wir quer nach Westen und fahren in die Toskana, um am nächsten Vormittag die Autos in Richtung Siena abzufahren  und die Einfahrt auf den Plaza del Campo zu erleben.

Siena
Es ist später Vormittag und wir warten in einer Bar, die auf der Strecke liegt bei einem Cappuccino auf die Autos, die aus Rom kommen. Die Einfahrt nach Siena ist ziemlich eindrucksvoll. Wir reihen uns hinter einem Pulk von Teilnehmern in die Polizeieskorte ein, die uns mit Blaulicht Platz und Durchfahrt beschert, wieder alle Kreisel absperrt und und so bis in die kleinen Gassen geleitet. Diese werden immer enger, sind gesäumt von hunderten von Zuschauern und wir kommen nur langsam voran. Auf einmal wird es heller und wir fahren auf die Piazza del Campo, dem bedeutendsten Platz der Stadt, wo zweimal im Jahr das berühmte Pferderennen Palio stattfindet. Der Boden ist mit Teppichen in den Farben der italienischen Flagge ausgelegt auf welchen die Rennwagen nach Startnummern gruppiert zum stehen kommen. Wir fahren am Rand vorbei durch die Menschenmenge, parken um die Ecke und mischen uns unters Volk. Es ist ein grandioser Abschluss für uns, denn nach der Mittagspause lassen wir die Rallye weiterziehen und bleiben noch ein paar Tage in der Toskana, um unsere Eindrücke, die Fotos und die unvergesslichen Momente, die wir auf dem Weg hierhin erlebt haben zu ordnen.

Grazie Mille Miglia!

Text und Fotos: Markus Haub & Susana de Val